Zwischen berechtigter Vorsicht und verpassten Chancen stellt sich die Frage: Wie muss Datenschutz gestaltet werden, dass er Vertrauen stärkt und digitale Medizin möglich macht?
22.05.2025 News von Markus Tusche
Gesundheit wird zunehmend als ganzheitliches Gut verstanden – individuell, kollektiv und planetar. Im Zentrum stehen Prävention, digitale Technologien und ein umfassendes Wohlbefinden, das Körper, Geist und Umwelt gleichermaßen einbezieht.
Aktuell steht die Gesundheitsversorgung an einem entscheidenden Wendepunkt: Während technologische Möglichkeiten rasant voranschreiten, bleiben viele Gesundheitsstrukturen in ihrer Umsetzung zurück. Der Anspruch an eine moderne, vernetzte und präventiv ausgerichtete Versorgung trifft auf Systeme, die oft noch analog, fragmentiert und reaktiv funktionieren.
Unter Ärztinnen und Ärzten ist es in Europa Konsens, dass die Digitalisierung für die Patientenversorgung und den medizinischen Fortschritt essenziell ist. Die digitale Transformation im Gesundheitswesen verspricht enorme Fortschritte – von personalisierten Therapien bis hin zu effizienteren Versorgungsprozessen. Problem dabei: Deutschland fällt nicht nur bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems im europäischen Vergleich zurück, die gesundheitliche Versorgung leidet auch unter dem deutschen Sonderweg bei der Anwendung des Datenschutzes und der Auslegung der DSGVO. Viele Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Fachgesellschaften warnen davor, dass die aktuell eingesetzte Form des Datenschutzes in Deutschland u.a. zu einer Chancenlosigkeit für eine personalisierte Therapie führt.
In Deutschland funktioniert die Digitalisierung in der Medizin oft deshalb nicht, weil sich einige 101%-Datenschützer zu den Herren des Verfahrens gemacht haben. Sie fordern Vorkehrungen gegen jede noch so unwahrscheinliche Datenschutzverletzung ein und verhindern digitale Lösungen, die in anderen Ländern längst DSGVO-gerechter Alltag sind, sagt beispielsweise Prof. Dr. med. Markus M. Lerch, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Klinikums der Universität München.
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Ja, wenn sie zu strikt oder unklar ausgelegt werden. Beispiele sind:
Auch der Onkologe Prof. Dr. Christof von Kalle sieht hier ein großes Defizit und spricht von einem "asymmetrischen Datenschutz". Er sagt in einem Interview mit dem Branchenmedium Pharma Fakten, dass er nicht glaubt, dass man die Patientinnen und Patienten ausreichend darüber aufklärt, was ihnen vorenthalten wird. Von Kralle spricht hier davon, dass man in Deutschland in zwei Welten lebt. Einerseits gibt es die rechtliche Seite, die EU weit die Datenschutzgrundverordnung regelt. Andererseits sieht er einen “gelebten Datenschutz”, der in Deutschland durch rückständige Technik geprägt ist. Bei uns arbeitet man mit Sicherheitskonzepten aus den 1990er-Jahren. Hauptaugenmerk lag hier schon immer auf der Datensparsamkeit und dem Nichtprozessieren von Daten. Dass es anders geht, sieht man an Ländern wie Spanien und Dänemark, die trotz derselben Rechtsgrundlage ganz anders mit den Daten arbeiten.
Anstatt auf Datensparsamkeit zu setzen, gilt in Dänemark zum Beispiel der Grundsatz “Ermöglichung mit Kontrolle” – das bedeutet Verantwortlichkeit und Nachvollziehbarkeit, nicht Vermeidung. Gesundheitsdaten werden zentral erfasst, intelligent vernetzt und zugänglich gemacht für Ärztinnen und Ärzte, Forschung sowie Verwaltung. Patientinnen und Patienten haben über das "Sundhed.dk"-Portal Zugriff auf ihre eigenen Daten. Ethikkommissionen und klare Governance-Strukturen schaffen Vertrauen und Transparenz. Auch Spanien nutzt die DSGVO als Rahmen für Innovation, nicht als Blockade. Datenschutz wird durch konkrete Maßnahmen wie Zugriffskontrollen, Pseudonymisierung und Opt-out-Lösungen abgesichert. Der Fokus liegt auf dem praktischen Nutzen von Daten für Patientinnen und Patienten – etwa durch bessere Diagnosen, KI-gestützte Therapieentscheidungen oder Forschungsprojekte.
Nach von Kalles Ansicht behindert die deutsche restriktive Auslegung des Rechts nicht nur Forschung und Innovation, es verhindert auch, dass Patientinnen und Patienten zusammen mit Ärztinnen und Ärzten über Therapien reden können. Mit der Nutzung von Gesundheitsdaten können bessere Entscheidungen getroffen werden. Mit der Nutzung von Gesundheitsdaten kann die Medizin effizient weiterentwickelt werden, weil man lernen kann, wie Erkrankungen vermieden oder aber behandelt werden können.
Ein neuer Ansatz des Datenschutzes ist dringend geboten. Patientinnen und Patienten gehen mit dem Verzicht auf die Verarbeitung ihrer Gesundheitsdaten erhebliche gesundheitliche Risiken ein. Die Versorgungsqualität nimmt ab und der medizinische Fortschritt wird ausgebremst. Von Kalle fordert daher aktivere Aufklärung. Denn er geht davon aus, dass allen Menschen klar ist, dass man Erkrankten Therapieoptionen vorenthält und damit verhindert, dass eine Krankheit z. B. früh entdeckt werden kann.
Datenschutz muss intelligent umgesetzt werden. Beispiele sind:
Die aktuell in Deutschland angewendete Form von Datenschutz führt nach von Kalle zu einer „Chancenlosigkeit“ für personalisierte Therapien oder die Teilnahme an einer klinischen Studie als vielleicht letzte Option. Dies muss sich grundlegend ändern, der Datenschutz muss in Deutschland neu gedacht werden. Er darf kein Innovationskiller sein, sondern muss durch klare, einheitliche Vorgaben und moderne Technologien als Enabler für eine erfolgreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen wirken.
Markus Tusche, Geschäftsführer+49 6221 822054markus.tusche(at)twt-dh(dot)de