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Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist da – was wir wissen und was nicht

Seit dem 28. Juni 2025 gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – mit weitreichenden Folgen für die Gestaltung digitaler Produkte und Services. Was hinter dem Gesetz steckt, wen es betrifft und wo noch offene Fragen bestehen, beleuchten wir hier kompakt und praxisnah.

News von Michael Grüterich

Am 28. Juni 2025 trat das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Deutschland endgültig in Kraft. Es setzt die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz EAA) in deutsches Recht um und bringt damit neue Anforderungen für digitale Produkte und Dienstleistungen mit sich. Ziel: mehr digitale Teilhabe für alle. Doch was bedeutet das konkret? Wer ist betroffen? Und welche Fragen bleiben (noch) offen?

Was wir über das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wissen

Das BFSG richtet sich primär an privatwirtschaftliche Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen – insbesondere im E-Commerce, bei Software, Terminals, Bankdiensten und digitalen Kommunikationslösungen. Wichtig: Das Gesetz ergänzt bestehende Regelungen im öffentlichen Bereich und weitet den Geltungsbereich auf den privaten Sektor aus.

Konkret müssen digitale Angebote künftig so gestaltet sein, dass Menschen mit Behinderungen sie uneingeschränkt nutzen können. Das betrifft z. B.:

  • Websites & Apps
  • Software-Oberflächen & E-Reader
  • Online-Shops & Buchungsprozesse
  • Selbstbedienungsterminals

Technische Grundlage ist in vielen Fällen der EU-Standard EN 301 549, der sich stark an den bekannten WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) orientiert.

Bei Nichteinhaltung drohen Konsequenzen. Zuständige Marktüberwachungsbehörden können z. B.:

  • Produkte beanstanden oder vom Markt nehmen
  • Bußgelder verhängen
  • Prüfungen und Nachbesserungen verlangen

Barrierefreiheit wird also zunehmend zu einem rechtlichen, wirtschaftlichen und reputationsrelevanten Thema.

„Was noch fehlt, ist Klarheit in der praktischen Umsetzung. Aber eines ist sicher: Nichtstun ist keine Option.“
Markus Tusche, Geschäftsführer von TWT Digital Health

BFSG – Was wir (noch) nicht wissen

Eine Marküberwachungsbehörde für alle Bundesländer zentral in Magdeburg ist vorgesehen – aber wie sie konkret aussieht, wer kontrolliert und wie regelmäßig geprüft wird, ist noch nicht überall klar geregelt. Auch das Zusammenspiel mit bestehenden Datenschutz- oder Medizinprodukterecht bleibt teils diffus.

Häufig fehlen noch klare Leitlinien, wie Barrierefreiheit im Detail umzusetzen ist – und wer konkret haftet. Denn viele digitale Produkte sind nicht eindeutig trennbar: Ein Ticketautomat ist auch Software. Eine Gesundheits-App ist auch E-Commerce. Ganz neue Fragen wirft die schnelle Entwicklung von KI, Chatbots oder interaktiven Interfaces auf: Müssen Sprachassistenten auch barrierefrei sein? Wie funktioniert das bei generativer KI? Antworten hierauf sind bislang spärlich.

Was Unternehmen jetzt tun sollten

  1. Bestandsaufnahme machen
    Welche Produkte, Kanäle und Dienste sind betroffen? Gibt es schon Barrierefreiheitsstrategien?
     
  2. Standards kennen und verstehen
    Die EN 301 549 und die WCAG 2.1/2.2 sind Pflichtlektüre für UX, IT und Recht.
     
  3. Barrierefreiheit in Entwicklungsprozesse integrieren
    Nicht als Add-on am Ende des Prozesses, sondern als integralen Teil von Design und Testing.
     
  4. Expertise aufbauen oder extern einholen
    Barrierefreiheit ist interdisziplinär: UX, Frontend, Recht, Redaktion – alle sind gefragt.

Die 4 häufigsten Fragen von Unternehmen

  1. Können Menschen mit Beeinträchtigungen uns jetzt verklagen, wenn unsere Produkte oder Dienstleistungen nicht barrierefrei sind?
    Es ist davon auszugehen, dass behinderte Menschen die Einhaltung der ihnen zustehenden Rechte einfordern werden. Das BFSG gibt ihnen dazu weitreichende Möglichkeiten. So können sie z. B. die Marktüberwachung auffordern, tätig zu werden oder geeignete Verbände darum bitten, sie bei dem Thema zu vertreten. Auch eine Klage könnte angestrebt werden, falls die Marktüberwachung nicht (ausreichend) tätig wird. Eventuell können sie auch die Schiedsstellen anrufen und um Unterstützung bitten.
     
  2. Müssen wir nun Angst vor Klagen von Konkurrenten haben?
    Mitbewerber können theoretisch auf Basis des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gegen fehlende Barrierefreiheit vorgehen, wenn sie darin einen Wettbewerbsverstoß sehen. In der Praxis ist das kaum dokumentiert, kommt bislang selten vor und es werden wohl die wenigsten Unternehmen dazu neigen, diese Möglichkeit zu nutzen.
     
  3. Wie schreibe ich eine Information zur Barrierefreiheit?
    Grundsätzlich ist es zunächst einmal egal, wie diese Information genannt wird. Wichtig ist, dass inhaltlich die korrekten Infos drin stehen und dass sie für die Verbraucherinnen und Verbraucher einfach auffindbar und natürlich barrierefrei ist. Klar, ehrlich und nutzerorientiert formulieren – keine Floskeln. Statt konkrete Barrieren aufzulisten, empfiehlt sich der Hinweis, dass bekannte Mängel der zuständigen Marktüberwachungsstelle gemeldet wurden. Muss rein: Stand der Barrierefreiheit (z. B. „teilweise barrierefrei“), Prüfverfahren und letzte Bewertung, Kontaktmöglichkeit für Rückmeldungen, Hinweis auf Schlichtungsverfahren Kann zusätzlich enthalten sein: Technische Maßnahmen zur Barrierefreiheit, Unterstützte Hilfsmittel, Geplante Verbesserungen
     
  4. Müssen noch bestehende Schwachstellen in der “Information zur Barrierefreiheit” im Detail aufgelistet werden?
    Die meisten Juristinnen und Juristen raten inzwischen davon ab, bestehende Barrieren im Detail öffentlich aufzulisten. Stattdessen sollte die Barrierefreiheitserklärung darauf hinweisen, dass bekannte Mängel bei der zuständigen Marktüberwachungsstelle der Länder gemeldet wurden – oder gemeldet werden können. So bleibt der Fokus auf Transparenz, ohne durch eine detaillierte Mängelliste rechtliche Risiken einzugehen.

    Die gemeldeten Barrieren sollten kategorisiert und um einen Hinweis zur geplanten Beseitigung (Maßnahmen, Zeitplan) ergänzt werden. Diese nicht-öffentliche Meldung ist gesetzlich vorgeschrieben (BFSG, §14 Abs. 4 Satz 2). Es wird davon ausgegangen, dass die vorab erfolgte Meldung, bei einer später eingelegten Beschwerde, positiv bewertet wird.

Bitte beachten Sie: Die genannten Inhalte sind keine Rechtsberatung, sondern unsere Einschätzung auf Basis des derzeitigen Kenntnisstands.

„Das Barrierefreiheitsgesetz ist nicht nur eine regulatorische Herausforderung – sondern auch eine Chance. Eine Chance, digitale Produkte besser, inklusiver und nachhaltiger zu gestalten. Die Grundidee: Was für Menschen mit Einschränkungen gut ist, ist oft für alle Nutzerinnen und Nutzer besser.“
Michael Grüterich, Head of Concept & Requirements-Engineering for Medical Devices

A11y-Check – Machen Sie mit uns den Barrierefreiheitstest

Wir prüfen Ihre Anwendung auf digitale Barrierefreiheit – technisch, inhaltlich und nutzerorientiert. Sie erhalten eine fundierte Einschätzung, ob gesetzliche Vorgaben eingehalten werden und wo Handlungsbedarf besteht.

  • Technische Prüfung, ob Ihre Website, App oder Software barrierefrei nutzbar ist
  • Überprüfung nach Kriterien wie z. B. Kontraste, Tastaturbedienbarkeit, Alternativtexte, semantische HTML-Struktur etc.
  • Orientiert an Standards wie WCAG, EN 301 549 und nationalen Gesetzen (z. B. BFSG, BITV)

TWT bietet Ihnen in Partnerschaft mit Eye-Able, dem führenden Anbieter von Barrierefreiheits-Lösungen in Deutschland, den direkten Zugriff auf eine große Anzahl von Tools, mit denen Sie den Status Quo der Barrierefreiheit Ihrer Websites prüfen und verbessern können.