Vier Jahre DiGA – Rückblick und Ausblick

Sie gelten als Problemlöser, die den knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung begegnen und doch gibt es auch scharfe Kritik. 2024 wird die DiGA vier Jahre alt und wir schauen uns den aktuellen Stand genauer an.

von Markus Tusche

Am 25. September 2020 wurde die erste Digitale Gesundheitsanwendung (kurz: DiGA) in das Verzeichnis des Bundesinstituts für Medizinprodukte und Arzneimittel (kurz: BfArM) aufgenommen. Mittlerweile sind DiGAs im Alltag von Patientinnen und Patienten angekommen – die Zahl der verfügbaren DiGAs ist auf 56 gestiegen (Stand: Januar 2024). Sie gelten als Problemlöser, die den knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung begegnen und den Patientinnen und Patienten zu einer aktiveren sowie selbstbestimmten Rolle im individuellen Behandlungsprozess verhelfen. Und doch werden die sogenannten  "Apps auf Rezept" vom GKV-Spitzenverband aufgrund hoher Kosten und fraglichen Nutzens auch scharf kritisiert. 2024 wird die DiGA vier Jahre alt und wir wollen uns den aktuellen Stand genauer anschauen.

DiGA-Markt verzeichnet ein nachhaltiges Wachstum

Sowohl die Anzahl der DiGAs im Markt als auch die Zahl ärztlicher und psychotherapeutischer Verordnungen steigen kontinuierlich seit 2020 an. Der GKV-Spitzenverband spricht von mittlerweile ca. 374.000 DiGAs, die im Berichtszeitraum vom 1. September 2020 bis 30. September 2023 in Anspruch genommen wurden. Kosten für die Krankenkassen: 113 Millionen Euro. Laut GKV wurden bis Oktober 2022 ca. 164 verordnet. Bis zum Oktober 2023 stieg diese Zahl auf ca. 374.000 Verordnungen. Damit hat sich die Zahl der DiGA-Verordnungen mehr als verdoppelt. 2021 sprach die Unternehmensberatung Boston Consulting Group vorsichtig von einer Milliarde Euro, die die Krankenkassen bis zum Jahr 2025 ausgeben werden.

Hohe Akzeptanz bei den Nutzerinnen und Nutzern

Die digitalen Anwendungen finden bei den Nutzerinnen und Nutzern eine breitere Akzeptanz und sind längst im deutschen Gesundheitssystem und der Versorgung von Patientinnen und Patienten angekommen: Rund 370.000 DiGA-Freischaltcodes wurden in dieser Zeit insgesamt eingelöst. Die neuen digitalen Therapiemöglichkeiten wurden also bereits von Tausenden Patientinnen und Patienten in Anspruch genommen und tragen somit dazu bei, Versorgungslücken zu schließen und die Situation vieler Menschen nachhaltig zu verbessern.

Positiver Versorgungseffekt ist erwiesen

Die Zahlen belegen es: DiGAs finden zunehmend eine breitere Akzeptanz, Patientinnen und Patienten nutzen die digitalen Anwendungen. Das ist eine durchaus positive Entwicklung. Man kann also feststellen, dass DiGAs schon heute einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland leisten. Es gibt zwar DiGAs, die mittlerweile wieder aus dem Verzeichnis gestrichen wurden, da der positive Versorgungseffekt nicht ausreichend belegt werden konnte, aber der größere Teil der DiGA konnte sich definitiv bewähren.

Pharma & DiGA

Trotz der anfänglichen Euphorie in der Pharmabranche in 2019 und dem Vorhaben, auch eigene DiGAs auf den Markt zu bringen, ist bisher auf diesem Gebiet recht wenig passiert. Statt auf die DiGA-Entwicklung setzen Pharmakonzerne eher auf Kooperationen mit DiGA-Herstellern. Aber warum?

Eine DiGA zu entwickeln ist ein komplexer Prozess, der Zeit braucht und für den man die Experten an Bord haben sollte. All das stellt für Pharmaunternehmen aber eine große Herausforderung dar. Große Konzerne sind z.B. weniger agil als ein Start-up oder Softwareunternehmen und die richtigen Mitarbeiter für die Entwicklung einer DiGA sind schlicht Mangelware. Auf Kooperationen zu setzen lohnt sich aber für die Pharmas gleich in mehrfacher Hinsicht. Sie haben so nicht nur die Möglichkeit, ihrem Markenimage einen modernen Touch zu verpassen, sondern die DiGA ist auch Türöffner in der Arztpraxis und erleichtert es den Vertriebsmitarbeitern, einen Termin mit einem Arzt zu bekommen. Ebenfalls ein Vorteil sind die Daten, die im Zuge der Partnerschaften generiert werden. Schwierig gestaltet sich für Phama allerdings die Integration digitaler Modelle in die klassische pharmazeutisch-orientierte Geschäftsmodelle und Prozesse. Hier ist die Kooperation mit spezialisierten OEM-Partnern oder Ausgründungen meist die effizienteste Methode.

Kritik an den Digitalen Gesundheitsanwendungen

Es gibt allerdings auch deutliche Kritik vom GKV-Spitzenverband – vor allem an der Kosten-Nutzen-Relation. Bei der Aufnahme von DiGAs in das DiGA-Verzeichnis des BfArM fehlt häufig noch der Nutzennachweis. Dies hat zur Folge, dass DiGAs zunächst nicht dauerhaft, sondern nur probeweise in das GiGA-Verzeichnis aufgenommen werden können. Die Kosten dafür müssen trotzdem von den Krankenkassen übernommen werden. Aktuell haben 32 von den 56 DiGA-Herstellern die Ergebnisse ihrer klinischen Studien bereits vorgelegt, bei 24 DiGAs fehlen diese Ergebnisse noch.

Darüber hinaus kritisiert der GKV-Spitzenverband die hohen Kosten für eine DiGA. Vor allem der hohe Anteil von DiGAs ohne Nutzennachweis wird kritisiert. Nach Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog können die herstellenden Unternehmen im ersten Jahr beliebig hohe Preise für die DiGA festlegen. Diese müssen dann von den Krankenkassen für diesen Zeitraum erstattet werden – unabhängig davon, ob ein Nutzen nachgewiesen wurde oder nicht.

Es gibt an vielen Stellen Potenzial für Prozessverbesserungen

Um die Qualität und somit den Nutzen für Patientinnen und Patienten zu verbessern, gibt es in allen Bereichen Potenzial, die Prozesse zu optimieren. Einigkeit besteht zwischen Herstellern und Krankenkassen, dass DiGAs Patientinnen und Patienten die große Chance bieten, aktiv an der eigenen Gesundheit zu feilen, Krankheiten besser zu verstehen und Symptome zu lindern. Allerdings muss das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer gestärkt werden – z.B. zum noch nicht nachgewiesenen medizinischen Nutzen.

Um das Vertrauen und die Bereitschaft zur Nutzung einer DiGA zu verbessern, ist es wichtig, Nutzerinnen und Nutzer über alle relevanten Punkte ins Bild zu setzen – Stichwort Aufklärung. Außerdem plant das Bundesministerium für Gesundheit die Preisgestaltung der DiGA stärker an Erfolgskriterien zu binden. Die entsprechenden Ergebnisse von Erfolgsmessungen sollen dann fortlaufend im DiGA-Verzeichnis des BfArM veröffentlicht werden.

Die Bewertungen aus den App Stores unter Userinnen und Usern zeigen auch deutlich, dass der Zugang zu den DiGAs möglichst einfach erfolgen sollte. So könnte beispielsweise ein optimierter Freischaltprozess dazu beitragen, dass Patientinnen und Patienten ihre DiGA noch schneller nutzen können. Eine deutschlandweite DiGA-Informationskampagne würde Verschreiberinnen und Verschreiber sowie Patientinnen und Patienten über die neuen Versorgungsmöglichkeiten aufklären und zu fachkundigen Entscheidungen befähigen.

Ausblick und Weiterentwicklung: Internationale Sichtbarkeit der Hersteller

Auch das europäische Ausland hat den Mehrwert digitaler Versorgungsangebote erkannt. In Frankreich wurde mit PECAN (Prise en Charge Anticipée Numerique) das Äquivalent zum deutschen Fast-Track Verfahren bei der DiGA-Zulassung etabliert. Frankreich ermöglicht so digitalen Medizinprodukten einen schnellen Weg in die Erstattung. Aber auch in Österreich wird bereits die Erstattung von DiGAs eingehend debattiert. Der deutsche Weg findet also rege Beachtung und auch das BfArM steht in direktem Austausch und lässt andere Länder an seinen eigenen Erfahrungen teilhaben. Hierzu zählen neben Frankreich und Österreich auch Belgien und die Niederlande, Dänemark, Finnland und Großbritannien. Darüber hinaus tauscht man sich auch mit den USA und Korea aus.

Besonders hervorzuheben ist das Interesse für DiGAs durch die FDA (Food and Drug Administration) in den USA. Hier wird von Experten bereits eine Art "Signalwirkung" für die finanziell und kulturell so unterschiedlichen Gesundheitssysteme dies- und jenseits des Atlantiks gesehen. Im Gegensatz zu den 90 Prozent der öffentlichen Ausgaben, die in Deutschland die Gesundheitsversorgung fließen, sind es in den USA keine 20 Prozent. In den USA dürften DiGAs somit einen wesentlich geringeren Einfluss auf die Patientenversorgung haben als in Europa und speziell in Deutschland. Für den Wirtschafts- und Investitionsstandort Deutschland bedeutet dies trotz der noch geringen Verordnungszahlen eine große Chance, den DiGA-Markt zu erschließen. Auf diesem Weg erhielten DiGA-Hersteller unmittelbar internationale Sichtbarkeit.

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